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L’Ystoire du bon roi Alexandre

Der Berliner Alexanderroman

Handschrift 78.C.1

des Kupferstichkabinetts Preußischer Kulturbesitz Berlin

 

Begleitband zur Coron Exklusiv-Ausgabe

 

eingeleitet und herausgegeben

von

Angelica Rieger

 

Vorwort

Trotz meiner langjährigen Beschäftigung mit der französischen Literatur des Mittelalters hatte ich mich stets vom Alexanderroman und von dessen Protagonisten Alexander ferngehalten – zu widersprüchlich war mir die Figur, zu unübersichtlich die Überlieferung, zu militaristisch die Inhalte oder zumindest das, was ich davon kannte. Dass ich Gelegenheit erhielt, diese Vorurteile teilweise zu revidieren, verdanke ich dem Verleger Rolf Müller, der mit der Bitte um einen Begleitband für jene Handschrift auf mich zukam, die wir von Anfang an den „Berliner Alexander“ nannten – womit auch dieser Band seinen Titel schon beinahe gefunden hatte.

Nichtsdestoweniger sollte es noch ein weiter Weg von dessen erster Anregung bis zur seiner Entstehung sein, nicht nur, dass – abgesehen von den zahlreichen Filiationen des Prosa-Alexanderromans – Tausende von Versen altfranzösischer Lektüre auf mich warteten, es standen auch Hunderte von Fotokopien schwer zugänglicher Texte und weitere aufwändige Vorarbeiten an, die ich guten Geistern aus meiner Zeit an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität verdanke, von denen hier stellvertretend Valérie Petit hervorgehoben sei; es war der altfranzösische Text einzuscannen, eine undankbare Aufgabe, die mein Mann Gottfried Klein für mich übernommen hat; es wollte auch eine stattliche kleine Bibliothek an Sekundärliteratur bewältigt werden; und nicht zuletzt erhielt ich kompetente Hilfe von der Spezialistin profaner mittelalterlicher Handschriften in Frankreich, der Kunsthistorikerin Alison M. Stones (Pittsburgh) und von dem romanistischen Alexanderroman-Spezialisten Ulrich Mölk (Göttingen). Ihnen allen gilt mein besonderer Dank.

Zwar kann keine Interpretation der Welt die dunkleren Seiten des Helden auch des Berliner Alexanderromans tilgen: den Alexander der Pogrome, der ein ganzes Volk auslöscht – wie jene eigenartigen ‚Menschenfresser’, die er zwischen zwei Bergen einschließt: „si les fist tous asambler avec lor femes et lor enfans et les osta de la tere d’Orient“ heißt es da, „und er ließ sie alle zusammentreiben mit ihren Frauen und ihren Kindern und entfernte sie aus dem Land Orient“ (zu Miniatur Nr. 42); oder denjenigen Alexander, der seine ganz eigene Form der ‚Euthanasie’ betreibt, indem er einen geistig Behinderten einfach verbrennen lässt: Alexanders Leute fangen im Wald einen Menschen ein, der sich widerstandslos vor Alexander bringen lässt: „Li chevalier se lanchierent envers lui et le prisent, mais il ne se douta ne ne fui, ains se tint tous cois“ – „Die Ritter stürzten sich auf ihn und nahmen ihn gefangen, aber er war arglos und floh nicht, sondern hielt ganz still“. Nachdem Alexander in dem ‚Waldmenschen’ mittels eines eigenartigen ‚Tests’ mit einem nackten Mädchen als „houme sans entendement“, als „Menschen ohne Verstand“ zu erkennen glaubt, ordnet er dessen Tod auf dem Scheiterhaufen an „si le fist liier et ardoir en un fu“ („und er ließ ihn binden und in einem Feuer verbrennen“ – zu Miniatur 66). Beide Beispiele zeigen, dass es für moderne Leser kaum möglich ist, diese Greueltaten ganz auszublenden; es ist lediglich möglich, den Blick auch auf die vielen anderen Erzählelemente abenteuerlicher und wunderbarer Art zu lenken.

Rückblickend kann ich nur feststellen: die Bemühungen um Verständnis und Toleranz für die Romanfigur Alexander haben sich gelohnt. Sie haben eine facettenreiche Persönlichkeit freigelegt, deren hellere Seiten in ihrer ungebremsten Entdeckerlust liegen. Und sie haben vor allem ein faszinierendes Märchenbuch offenbart, das noch im Videoclipzeitalter mühelos mit jeder aktuellen Sammlung von Gute-Nacht-Geschichten mithalten kann. Und nicht zuletzt haben sie den Blick geöffnet für die überwältigende Bilderwelt einer Prachthandschrift, für eines der ersten profanen Bilderbücher der Überlieferungsgeschichte überhaupt. Möge ein Funke dieser Faszination auch auf all jene überspringen, die sich nun in den prachtvollen Faksimile des Berliner Alexanderromans und dem dazugehörigen Begleitband vertiefen.

 

Angelica Rieger

Wiesbaden, im Juli 2002

 


 

INHALT

 

I Einführung in den Alexander-Stoff
1. Die Geschichte Alexanders von Mazedonien, genannt „der Große“
2. Der Alexander-Mythos und seine Überlieferung in vormittelalterlicher Zeit
3. Die vier Zweige des altfranzösischen Alexanderromans
4. Die Überlieferung in mittelalterlichen Handschriften
 
II Der „Berliner Alexanderroman“
1. Quellen und Vorbilder für Text und Bild: Die Historia de preliis, das Epos und der höfische Roman
2. Zusammenfassung des Inhalts
 
III Textausgabe des Alexanderromans nach der Berliner Handschrift 78 C 1
 
IV Die Miniaturen im „Berliner Alexanderroman“
1. Codicologische, paläographische und historische Beschreibung der Handschrift 78.C.1
2. Der Berliner Alexanderroman im Vergleich mit verwandten Handschriften
2.1 Der ‚Meister der Fenstergucker’ oder die ‚Königshandschrift’ (Brüssel, Bibliothèque Royale 11040)
2.2 Der ‚Meister der Schriftkultur und der Handwerkszeuge’ (London, British Library Harley 4979)
2.3 Der ‚Meister der Mütter’ (Berlin, Kupferstichkabinett, 78.C.1)
3. Das vollständige Bildprogramm des Berliner Alexanderromans
 
V Schlusswort: Der Berliner Alexanderroman – Gute-Nacht-Geschichten für ein Muttersöhnchen?
 
VI Ergänzende Materialien
1. Tabellarische Darstellung des vollständigen ikonographischen Programms der mit dem Berliner Alexanderroman verwandten überlieferten Handschriften
2. Tabellarische Übersicht über die Überlieferung des Alxanderromans des Pseudo- Kallistenes
3. Namensregister
 
VII Auswahlbibliographie

 


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